Strategisches Management
Wie der Einzug agiler Arbeitsweisen und die Herausforderungen eines immer schnelllebigeren Geschäftsumfeldes (VUCA) das Management zwingt, seine klassische Rolle als Chefstratege und Entscheider neu zu denken.
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Agilität wird oft vom Top Management als Wunderwaffe für „schneller-höher-weiter“ gesehen: mehr Projekte in kürzerer Zeit schneller umsetzen, um so die auf der strategischen Ebene gesetzten Ziele zu erreichen. Genau unter diesem Aspekt wurde Agilität in den letzten Jahren von namenhaften Beratungsfirmen häufig an das strategische Management in einer Vielzahl von Branchen verkauft – leider oftmals ohne ein wirkliches Alignment zwischen den hochgesteckten strategischen Zielen und der operativen Ebene. Und, oh Wunder, auch bei Agilität stellt sich heraus, dass „schneller-höher-weiter“ so nicht unbedingt langfristig erreicht wird. Dass viele Fehler gemacht wurden und werden. Dass in der Praxis sowohl „alte“ als auch neue Probleme auftauchen…*. Dass auch dieser Wunderwaffe, die so gut gestartet ist, irgendetwas fehlt. Was ist es, das fehlt?
Ein Beispiel: Die Einführung von SCRUM funktioniert hervorragend in einem (Projekt-) Team. Alle freuen sich über die erzielten Erfolge, vom Team bis zum Top Management. Und dann: Stößt das neue Vorgehen plötzlich an eine Grenze. Und zwar: Nicht an seine Grenze, sondern an eine Grenze, die es alleine nicht zu überwinden vermag: die zur klassischen Managementstruktur. Und plötzlich stehen die Umsetzer und das mittlere Management alleine vor dieser Grenze. Vor diesem Problem, das allein ihnen gehört – nicht dem Top Management. Mehr noch: Da gibt es keine Tür, sondern ein großes Schild mit den Worten „Die im letzten Jahr im ‚Elfenbeinturm’ gesetzten Unternehmensziele sind um jeden Preis zu erreichen.“ Und der Preis ist: Operative Umsetzer und mittleres Management kommen mit dem neuen Vorgehen nicht mehr weiter. Es wird auf klassische Eskalationsinstanzen aus der „alten Welt“ zurückgegriffen. „Oben sticht Unten“ gilt plötzlich wieder. Denn was fehlt ist: die Brücke.
Was fehlt sind die Menschen, die täglich daran arbeiten, diese Brücke zu bauen und letztendlich: Grenzen aufzulösen. Sodass die Einbahnstraße „Top Down Unternehmensstrategie“ in eine in beide Richtungen befahrbare Brücke zwischen der strategischen Ebene und dem Tagesgeschäft verwandelt wird. Und täglich weiter daran gebaut wird – egal ob unter der Anwendung von Kanban, OKRs, LeSS… Die zur Verfügung stehenden Tools und Methoden sind vielfältig und müssen unternehmensspezifisch, dem Kontext entsprechend ausgewählt und genutzt werden.
Was allerdings nicht optional ist, ist WER für diesen Brückenbau verantwortlich ist: Das Top Management.
Das Top Management, das „neue Werte“ vorlebt. Das keine Einbahn-Elfenbeinturm-Strategie mehr fährt, sondern eine in unserer VUCA-Welt notwendige, agile Unternehmensstrategie selbst lebt – vorlebt und somit erst ermöglicht. Eine Strategie, die atmet und auch auf aktuellen Erkenntnissen der operativen Ebene basiert, die Grenzverkehr erlaubt und beflügelt. Gerade die aktuelle Krise hat uns doch genau das wieder gezeigt: Wie wichtig die Vernetzung über Unternehmenssilos hinaus ist. Wie essentiell dabei die Brücke zwischen der leitend-strategischen Ebene und dem Tagesgeschäft ist, um möglichst schnell auf Veränderungen reagieren und neue Möglichkeiten erkennen zu können.
Was nicht heißt, dass das Management alles selbst machen muss. Aber: dass es für die Statik bzw. die Rahmenbedingungen dieser Brücke verantwortlich ist. Und als allererstes für ihre Existenz! Dass es eine Brücke erbaut, pflegt und erhält, über die Informationen und Impulse möglichst aktuell in beide Richtungen fließen können. Dass es seine Kernaufgabe weniger im Kreieren und Er- bzw. Festhalten einer unbeweglichen Strategie sieht – sondern vielmehr darin, sukzessive die notwendigen Rahmenbedingungen für das gesamte Unternehmen zu schaffen, die diese Form von Austausch beflügelt. Und: genau das auch vorzuleben.
Ein solcher Ansatz stellt das Management vor neue Herausforderungen und erfordert ein Umdenken an vielen Stellen – auf allen Ebenen der Organisation.
1. Servant Leadership
Das erste ist ein verändertes Selbstverständnis: Führungskräfte als Unterstützer ihrer Mitarbeiter. Als Befähiger, die wie oben beschrieben den Rahmen schaffen, der den Mitarbeitern ermöglicht, ihre Arbeit bestmöglich auszuführen – und den Informationsfluss in beide Richtungen anstößt und fördert sowie fordert! Ein klarer Bruch mit dem oft gelebten hierarchischen Ansatz der Führung, wie z.B. von Robert Greenleaf beschrieben. Ein Ansatz, für dessen Erfolg andere menschliche als auch technologische Faktoren relevant sind, Stichwort Digital Leadership.
2. Kommunikation auf Augenhöhe
Hand in Hand mit dem Konzept des Servant Leaders geht die Art und Weise der Kommunikation: Wenn das Ziel ist, dass befähigte Mitarbeiter selbständig und ehrlich relevanten Input für das Unternehmen und die Strategie geben, müssen Manager aktiv zuhören und eine wertschätzende Begegnung auf Augenhöhe ermöglichen. Ansonsten werden Motivation und wertvolle Erfahrungen aus dem Tagesgeschäft im Keim erstickt.
3. Veränderungsbereitschaft – oder auch: „Leading by Example“
Die eigene, ehrliche Veränderungsbereitschaft ist Key um den gewünschten Wandel zu erreichen. Kombiniert mit dem Willen, zu experimentieren, Fehler zuzulassen und daraus zu lernen. Eine Situation wie oben beschrieben, in der bei Problemen oder Fehlern – die dazu gehören! – alte Mechanismen greifen und nach dem Prinzip „Oben sticht Unten“ agiert wird, stoppt jeden Veränderungswillen und führt zurück zur strategischen Einbahnstraße.
4. Immer Das Ganze im Blick!
In den meisten Fällen muss das Top Management nicht nur eine Brücke bauen. Sondern: ein Netzwerk von Brücken. Zwischen Abteilungen und Bereichen. Zwischen „oben“ und „unten“. Zwischen Arbeitsweisen und Aufgaben. Ein Netzwerk von Brücken über existierende Grenzen im eigenen Unternehmen – über Gräben und Schlagbäume – hinweg. Das einen schnellen, offenen und zuverlässigen Informationsfluss und Austausch ermöglicht. Das weg vom „Die“ – hin zum „Wir“ führt.
Um in einer VUCA-Welt besser zu performen, muss Strategie aktueller und lebendiger werden. Sie muss eine in beide Richtungen befahrbares Netzwerk von Brücken werden, über das relevantes Wissen und Ideen fließen, ausgetauscht und verfügbar gemacht werden – von allen Ebenen zu allen Ebenen der Organisation.
Das heißt: Unternehmenslenker müssen ihre Rolle neu denken. Vom Strategen im „Elfenbeinturm“ zum „Strategic Enabler“, der enger als bisher üblich mit dem Tagesgeschäft verbunden ist, Impulse aus allen Ebenen der Hierarchie laufend aufnimmt, zusammenbringt und wiederteilt – und vor allem: Die Brücke(n) für alle baut.
*Eine fundierte Analyse hierzu findet sich z.B. in dem Buch” (Darrell Rigby, Sarah Elk, Steve Berez 2020), das viele Problematiken auf den Punkt bringt, denen auch ich in der Praxis begegnet bin.
Über den Autor
Herr Rufus Henneken hat einen vielfältigen multinationalen Hintergrund als Strategie- und Change-Management-Spezialist mit Schwerpunkt Digitalisierung. Er verfügt über mehr als 10 Jahre Erfahrung in einer Vielzahl von Branchen, darunter Versicherungen, Ingenieurwesen, Logistik, Finanzdienstleistungen und der öffentliche Sektor. Er war in vielen verschiedenen Funktionen tätig, unter anderem in den Bereichen Vertrieb, Unternehmensentwicklung, Projektmanagement und Unternehmensberatung für Unternehmen auf der ganzen Welt.
Zu den bekanntesten Unternehmen, für die Herr Henneken gearbeitet hat, gehört PricewaterhouseCoopers, wo er als Wirtschaftsprüfer und Berater tätig war. Herr Henneken hat einen Master-Abschluss in Strategie und internationalem Business von der Aston University (UK).